Through the Looking Glass
Von Silvia Szymanski & Bianca Sukrow // 28. Juli 2011 // Tagged: Porno // 5 Kommentare
Catherine sehnt sich fort aus ihrem Leben an der Seite eines reichen Geschäftmannes. Immer wieder geht sie auf den wie ihr altes Kinderzimmer eingerichteten Dachboden, wo es sie durch einen Spiegel in eine sexuelle Welt hineinzieht, in der ihr verstorbener Vater (Jamie Gillis) eine ambivalent-dämonische Rolle spielt. Am Ende verabschiedet sie sich von ihrer auf ungewöhnliche Weise schönen, fast nicht mehr kindlichen Tochter (Laura Nicholson), der sie wie eine bedeutungsvolle Märchengabe ihre silberne Haarbürste vermacht, damit sie ihre Art, zu sein von nun an vertrete. Dann saugt der Spiegel sie für immer ein; sie landet in der Hölle.
Besonders Catherines verstörtes, ausdrucksvolles, deneuve-artiges Gesicht ist etwas, das ich mir bedeutend länger ansehen könnte als der Film dauert. Catharine Burgess spielt diese total traurige und traumverlorene Frau mit großer Innigkeit, großem Ernst. Die sorgfältige Ausstattung, die ausgesuchten Settings, die avantgardistische Musik erschaffen etwas, das vergessen macht, dass dies nur ein Film ist; er ist mit faszinierender Selbstverständlichkeit präsent und wirklich.
Catherines Alltag ähnelt dem der feinen Bürger in Chabrol-Filmen. Wir sehen sie im Kosmetiksalon unter den andren, spöttischen Bürgerfrauen, bei den Luxuskarossen, im gepflegten Park ihrer Villa, beim formellen Abendessen mit ihren Gästen. Sie gibt sich tapfere Mühe, das zu mögen.
In ihrer Umgebung, in respektvoller Entfernung, gibt es einige nette Männer – den Friseur oder den in Catherine verliebten Gärtner Abel mit dem schmerzvoll leidenschaftlichen Gesicht – die diese melancholische, schöne, sehnsuchtskranke Frau mit Anteilnahme betrachten, ohne ihr helfen zu können. „Entfernung“ scheint überhaupt ein Schlüsselwort zu sein. Catherine tendiert immer mehr dazu. Sie will oft allein sein; dann geht sie auf den Dachboden, erregt sich und stellt sich vor, der Spiegel sei ihr Liebhaber und sage, was sie gern über sich hören würde. Bis sie wieder in die andere Welt gerät.
Dort ist zum Beispiel gerade eine barock-surreale Gesellschaft an einem Tisch im Grünen zugange. Wir haben sie schon im Frisiersalon gesehen, jetzt tragen sie Kostüme und benehmen sich affektiert wie vielleicht die Teetrinker aus Alice im Wunderland oder wie in Charles Wilp’s Afri-Cola-Rausch. Catherine ist von dieser frivolen, erwachsenen Sexualität verwirrt und abgestoßen wie ein Kind. Ihr Vater, dem sie abseits davon begegnet, ein hochmütig weltverachtender Mann, will sie weglocken aus der banalen Business-Welt ihres Ehemannes. Am Ende holt er sie für immer hinter den Spiegel: Bei einem Gewitter fällt er als triumphierender Satan über sie her, Ekstase und Geheul, und versetzt sie in ein Ödland, in dem eine Urhorde von Unholden herumkrebst – besessen Unsinn brabbelnde Wahnsinnige in einem Steinzeit-Hades. Kunstvoll und fesselnd.
Frau Suk wollte diesem besonderen, facettenreichen, unauslotbaren Film ursprünglich eine längere Untersuchung widmen. Aber wie soll man längere Untersuchungen über das Leben durchführen, wenn das Objekt einfach nicht still hält.
Ja, Frau Szy, das hast du schön gesagt. Ich kratze nun einfach alles zusammen, was ich bei der bisherigen Arbeit am zappeligen Gegenstand auf’s Papier gespuckt habe, denn sonst kommt der Film wohl nie zu einer Rezension. Was die Inhaltsbeschreibung anbelangt, wiederholt sich dabei das ein oder andere, nur ist es bei mir wie immer nicht so schön atmosphärisch. Aber da Streichen länger dauert als Schreiben, halte ich mich nicht länger damit auf…
Das hochherrschaftliche Landhaus, in dem Protagonistin Catherine mit Mann, Kind und einem Satz Angesteller lebt, ist eine nicht ganz untypische Pornokulisse mit dem Potential, ebenso typischen Figurenkonstellationen Logis zu gewähren. Und tatsächlich tauchen sie alle auf, die Charaktere, die man in einem derartigen Setting erwartet: Chauffeur und Gärtner Abel (Michael Jefferson), der sichtlich in die Hausherrin verliebt ist; das Hausmädchen, Abels Schwester Lisa (Terri Hall), die vielsagende Blicke auf ihre Dienstherrin wirft und als einzige deren geheime Lüste zu durchschauen scheint; die annähernd erwachsene Tochter Jennifer, die sich dem Dinnergast der Eltern mit selbstgemalten Bildern andient, und dergleichen mehr. Auch einschlägige Situationen gibt es genug: Catherine weist Abel an, ihr Blumen ins – Zaunpfahl – Schlafzimmer zu stellen, Ehemann Richard (Douglas Wood) macht zweideutige Kommentare dem Dinnerbesuch gegenüber, der Gast fasst Jennifer onkelhaft um die Hüften – gängiges Pornoinventar. Man erwartet Szenen zwischen Cathrine und Abel, Richard und Lisa, Richard und Catherine, den Hausherren und den Dinnergästen, vielleicht sogar Lolita-Zeug mit der halbwüchsigen Tochter und dem netten schnurrbärtigen Onkeltyp.
Tatsächlich aber geschieht nichts davon, der voyeuristische Zuschauer wird enttäuscht – ein ironischer, selbstbezüglicher Seitenhieb auf die Genregepflogenheiten, die Through the Looking Glass konsequent unterläuft. Dafür garantieren schon die unheilverheißende Horrorfilmmusik, Halleffekte in der Stimme und verzerrte Geräusche, welche die Mechanismen zur Erregungserzeugung fast durchgängig aufheben; das Auge ist Zeuge der Leidenschaft, dem Ohr hingegen drängt sich der Schrecken auf. Generell sind die expliziten Szenen in Through the Looking Glass eher verstörend als erotisch. Der Sex ist verkrampft, die Orgien bis ins Absurde überzeichnet, die Hölle ein Ort der Einsamkeit und ins Leere laufender Triebe. Regisseur Jonas Middleton setzt auf die ästhetische Wirkung von Groteske und Düsternis, und das funktioniert im hier gezeigten Maße tatsächlich nur mit Hilfe expliziten Materials. Der erste Porno, der mir untergekommen ist, in denen die Sexszenen keinen Selbstzweck erfüllen, sondern einen Bestandteil eines übergreifenden filmischen Konzepts darstellen (das angesichts des sicher nicht berauschenden Budgets hervorragend umgesetzt ist). Es werden nicht in Sportlermanier Stellungen abgearbeitet oder Rekorde im Sahneschlagen erzielt, und das Gezeigte ist immer nur so pornographisch, wie es die Groteske erfordert. So bleibt die Vergewaltigungssequenz mit dem Dämonenvater weitenteils im Softpornobereich, andere Szenen wiederum sind so explizit, dass sie ins Ekelhafte umschlagen, etwa die Kamerafahrten in Catherines Vagina.
Soweit so Avantgarde. Was Through the Looking Glas aber endgültig vor vielen anderen Genrevertretern auszeichnet und unabhängig vom pornographischen Material auch noch zum guten Film macht, ist die komplexe – jetzt kommt’s: Handlung. Mehrere Ebenen werden ineinander verschränkt, und zwar nicht nur als Rahmenhandlung (wie etwa bei The Devil in Miss Jones), sondern als zentrales, durchgängiges Strukturmerkmal. Strukturell deckt sich die Filmhandlung soweit mit Lewis Carrolls Fortsetzung zu Alice’s Adventures in Wonderland, bei der sich Regisseur Jonas Middleton den Titel leiht. Carrolls Romanhandlung ähnlich ist auch in der Porno-Variante die Welt hinter den Spiegeln als Antithese zur „Realebene“ zu verstehen, allerdings ist sie hier als Zerrspiegelung angelegt, und Catherine kann anders als Alice über weite Strecken der Handlung hinweg zwischen den Welten wechseln. Das Tor zum Paralleluniversum wird durch Catherines Masturbationsfantasien geöffnet, die von ihrer inzestuösen Sehnsucht nach dem Vater geprägt sind. Schon in der Eingangssequenz sind beide Ebenen miteinander verschaltet. Während sie beim Frisör vor dem Spiegel sitzt und aus einer Gesichtsmaske geschält wird – deutlicher könnte der Hinweis darauf nicht sein, dass wir nun sehen, was die Protagonistin unter der in Gesellschaft getragenen Maske bewegt –, träumt Catherine, sie versuche vergeblich, auf einer sonnenbeschienenen Allee den Vater einzuholen. Am Ende der Sequenz finden Traum und Realität zueinander: Die hysterisch lachende Gesellschaft in historistischen Barockkostümen findet ihre Entsprechung in den eifersüchtig über die allzu perfekte Catherine lästernden Kundinnen im Friseursalon, die von denselben Schauspielerinnen gespielt werden.
Die Eingangsszene deutet an, dass Traum- und Realebene zwar im Wesentlichen getrennte Welten mit jeweils eigenen Gesetzen und eigenständiger Bildsprache sind, die eine aber durchaus von Ereignissen in der anderen beeinflusst wird. Störungen in der Realebene führen dazu, dass Catherine plötzlich „erwacht“, so dass zu vermuten ist, dass ihr Körper de facto diesseits des Spiegels bleibt. Dafür spricht auch, dass Cathrine selten an den Orgien in der Welt hinter dem Spiegel teilnimmt, sondern als von den Akteuren scheinbar unbemerkte Beobachterin fungiert. So auch bei der ersten längeren „Flucht“, die Catherine in den Garten mit der Barockgesellschaft zurückführt. Catherine wird Zeugin einer nicht ganz zufällig an Alice im Wunderland erinnernden Teegesellschaft. Als sie entdeckt, dass die passive Maskierte, an der sich die Teilnehmer reihum verlustieren, sie selbst ist, taucht ihr Vater wieder auf. Doch bevor sie ihn einholen kann, versinkt er in einem Seerosenteich. Er zieht sie zu sich unter Wasser und Catherine erwacht auf dem Dachboden wie aus einem Alptraum. In einer späteren Sequenz fantasiert Catherine eine Szene aus ihrer Jugend. Wieder ist sie passiv, während eine jüngere Version ihrer selbst (Marie Taylor, die Catherine Burgess leider sehr unähnlich ist) vom Vater zur Masturbation vor dem Spiegel angeleitet wird.
Die Deutung von Catherines kranker, stark sexualisierter Sehnsucht nach dem Vater als Spätfolge sexuellen Missbrauchs ist so naheliegend, dass es fast peinlich ist, sie zu erwähnen. Der Vater als übermächtige Figur ist schon am Handlungsanfang im Haus omnipräsent; er hängt als Bild über dem Esstisch oder steht als Foto auf dem Kommödchen, Catherine beschreibt ihn den Dinnergästen gegenüber als überragenden Reiter, und Richard bemerkt, der Schwiegervater habe sich praktisch alles herausnehmen können. Catherines Tagträume scheinen sich angesichts einer bevorstehenden Europareise zu verstärken. Die Aussicht, das geliebte Elternhaus (und damit auch den Spiegel in der Kinderwelt auf dem Dachboden) verlassen zu müssen, veranlasst sie zu regressivem Verhalten. Catherine entfernt sich immer weiter von Familie und Gesellschaft und lässt in der „Realebene“ weder körperliche noch emotionale Berührung zu. Der resignierte Richard und Tochter Jennifer sind nicht in der Lage, Catherine vom Abdriften in ihre narzisstische Traumwelt abzuhalten. Der einzige Fluchtversuch, den Catherine angesichts der sie übermannenden sexuellen Fantasien unternimmt, scheitert. Der Flug nach Europa lässt sich nicht vorverlegen, die Stimme der Flughafenangestellten am Telefon wird zur Stimme des dämonischen Vaters; die Traumebene bricht in die Normalebene ein, ohne dass Catherine etwas dagegen unternehmen oder sich dem Sog ihrer Fantasien entziehen kann. Der Vater, der als Satyr oder Dämon erscheint, treibt Catherine immer weiter in die Irre, bis sie letztlich völlig in die Psychose fällt.
Allerdings macht es der Film dem Zuschauer nicht so einfach, die Missbrauchs-Deutung restlos aufgehen zu lassen. Als sie ihrem jüngeren Selbst bei der Masturbation mit dem Vater zusieht, sagt Cathrine, das habe sie sich immer gewünscht, und auch der Dämonenvater deklariert den Inzest als (unerfüllte) Wunschvorstellung Catherines. Auf diese Weise wird die hübsch einfache Missbrauchsinterpretation unterlaufen. Es ist Catherines Lust, die hier als Triebfeder fungiert, nicht die Lust des Vaters. Catherine verzehrt sich nach dem Vater, bekommt aber die eigenen Dämonen. Der Dämonenvater wird zur Personifikation tabuisierter, normwidriger weiblicher Lust überhaupt, verbotene Begierde, die zu entfesseln oder auch nur zu verbalisieren in der Gesellschaft gefährlich bis unmöglich ist (welcher Ehemann wäre schon erbaut zu erfahren, dass seine Frau beim Masturbieren an seinen Schwiegervater denkt?) Vereinen lassen sich beide Ebenen nicht. Die unbotmäßige Lust hat frau im stillen Kämmerlein in der Fantasie. Doch das Geheimnis um die Quelle weiblicher Lust wird schließlich von der Mutter an die Tochter weitergegeben. Catherine überreicht Jennifer letztlich den Schlüssel zum Dachboden, wissend, dass dort der Dämon, die Entdeckung der eigenen Begierde im Spiegel (Selbsterkenntnis) auf die Tochter wartet. Catherine muss sich entscheiden, welche Seite sie wählt, und ihre Lust ist letztlich stärker als der Wunsch nach gesellschaftskonformem Leben. Der Dämon nimmt sie in Besitzt, zieht sie auf die andere Seite und leckt sich schon nach der Tochter die Lippen.
Am Ende ist Catherine auch körperlich in die Welt hinter dem Spiegel verbannt, die nun nicht mehr als bloße Halluzination klassifizierbar ist. Konnte sie zuvor durch Störungen immer wieder in die Realwelt zurückgeholt werden, suchen ihre Familie und die Angestellten nach Catherines Vergewaltigung durch den Dämon vergeblich nach ihr. Auch wenn sich auf der Deutungsebene der Verlust des Körpers als ultimativer Selbstverlust in der Psychose begreifen lässt, auf der Handlungsebene funktioniert dieser Rückschluss nicht. Catherine ist in der Hölle, sie kann nicht zurück, ihr Körper ist diesseits des Spiegels verschwunden.Traum und Normalwelt muss auf Plotebene nun ein gleichwertiger Realitätsgehalt zugeschrieben werden, womit sich die Geschichte nicht mehr auf psychoanalytische Interpretationen herunterbrechen lässt. Auch wenn das Ende der Porno-Version einen Gegenentwurf zum Ende von Carrolls Geschichte darstellt (Alice muss sich die Rückkehr durch geschickte Schachzüge verdienen, landet aber wieder in der vertrauten Welt), wirft der Film letztlich dieselbe Frage auf: Welche Realität ist die echte? Ist der Rote König eine Figur im Traum von Alice, oder ist sie Teil eines Traumes des Königs? Wie so oft entzieht sich Through the Looking Glass der eindeutigen Festlegung, die Handlung schlägt Haken, windet sich immer wieder aus dem Zugriff des Sammlers, der das unförmig-stachelige, eklige aber auch schillernde Insekt auf Styropur festpinnen will. Welch eine Wohltat, der Film ergibt sich nicht den Regeln unserer Welt und auch nicht den Regeln des Genres.
USA 1976, Regie: Jonas Middleton
5 Kommentare zu "Through the Looking Glass"
Zur Frage der unterlaufenen Missbrauchsinterpretation: kommt darauf an, welche Theorie man zugrunde legt. Freud hat nach gesellschaftlichen Widerständen gegen seine ungünstig sogenannte Verführungstheorie diese abgewandelt in die Behauptung, die „Phantasien“ beruhten auf kindlichen Triebwünschen. Also platt gesagt, es habe gar keine Verführung/kein Missbrauch stattgefunden, sondern die aktuellen Probleme seiner Patientinnen beruhten auf einem unausgeglichenen Triebhaushalt bzw. verdrängten und auf die Eltern projizierten Erinnerungen an kindliche Onanie. Könnte eine Anspielung darauf sein, würde zu den Schwierigkeiten, welche Ebene Realität ist, passen. (Habe den Film nicht gesehen.)
Ich glaube auch nicht, dass das der Interpretation widerspricht, oder? Freud unterläuft ja seine Missbrauchstheorie selbst auf fast die gleiche Weise wie der Film (wenn auch aus Gründen, über die man streiten kann – und über die ja auch schon ausgiebig gestritten worden ist). Dem späten Freud hätte die Erzähltechnik in „Through the Looking Glass“ vielleicht gefallen…
Normalerweise komme ich aber nicht zu schnell.
Mr. Vincent Vega, du hast schneller kommentiert, als ich die Credits einfügen konnte :) Respekt! Und ja, der ist wirklich „outstanding“.
Muss ich auch endlich mal schauen. Der steht seit Christian Keßlers Vortrag recht weit oben auf meiner Liste.